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  • Isabel

Ein Abenteuer vor dem Abenteuer

Baltimore, 17. Mai 2019. Endlich, die Reise beginnt. Nach einer Verspätung von sechs Wochen ist es soweit. Heute ist der Tag an dem wir unseren Bus, einen Mitsubishi L300 tatsächlich vom Hafen abholen können.


Doch erstmal eine kurze Rückblende:

24. April: In freudiger Erwartung fahren wir mit dem Greyhound von Philadelphia nach Baltimore. Noch zu Hause in Stuttgart hatte man uns mitgeteilt, dass das Schiff mit unserem Mitsu aufgrund eines größeren Schadens später als ursprünglich geplant Baltimore erreichen würde. Nach drei Wochen Warten erhalten wir die Nachricht, dass unser Bus nun zur Abholung bereitsteht. Wir düsen also gleich morgens zum Hafen, erledigen das Papierprozedere und begeben uns zum Escort-Service, der uns auf das Hafengelände begleitet. Dass heißt eigentlich nur Richard... Ich muss im Büro warten - nur eine Person darf mit dem Mitarbeiter zum Auto. Nach zwei Stunden Warten werde ich unruhig, normalerweise dauert das Ganze angeblich nicht länger als 45 Minuten. Nach zweieinhalb Stunden kommt Richard endlich wieder... ohne Bus... Sie konnten den Mitsu nicht finden. Wie jetzt? Wie kann man denn einen Campingbus verlieren?!?

Die nächsten Stunden sind schlimm. Ich muss zurück in unsere Unterkunft, aus der wir längst hätten auschecken müssen. Richard versucht am Hafen sein Bestes, um an Informationen über den Verbleib unseres verschollenen Zuhauses zu kommen. Ohne Erfolg, niemand weiß wo sich unser Mitsu befindet. Heute geht nichts mehr, das Vermittlerunternehmen am Hafen schließt und auch in Deutschland ist längst Feierabend.

In unseren Köpfen formen sich dunkle Gedanken und Bilder von fremden Menschen hinterm Lenkrad unseres Mitsus. Die Vorstellung fremder Popos, die sich in die senfgelben Matratzenbezüge schmiegen, die ich mit so viel Zeit und Hingabe und in einer von mir nie für möglich gehaltenen Perfektion (ich sage nur Reißverschluss Baby!) genäht habe, lässt mich kaum schlafen. Dass all der Schweiß, die unendlich vielen Stunden Arbeit und auch das Geld umsonst gewesen sein könnten, versetzt uns beide in eine Schockstarre...

Der Mitsu lebt! Am nächsten Morgen erhalten wir die Nachricht, dass er in Antwerpen gesichtet wurde! Der arme Kerl wurde bei der Verladung von dem kaputten, aus Hamburg kommenden Schiff auf das Schiff, das ihn weiter nach Baltimore hätte bringen sollen, einfach vergessen und am Hafen in Antwerpen stehen gelassen.

Sozusagen beim Umsteigen den Anschluss verpasst. Für uns heißt es nun weitere drei Wochen warten bis die nächste Fähre mit unserem Bus den Hafen von Baltimore erreicht.

Die nächsten zwei Tage verbringen wir damit zu überlegen wie wir die Zeit möglichst günstig und dennoch erlebnisreich nutzen können. Weil unser Budget nicht auf Übernachtungen im Hotel/AirBnB und Essen gehen in der Stadt, sondern auf billigen amerikanischen Diesel, Kochen im Bus und kostenlose Übernachtungsplätze ausgelegt ist, müssen wir kreativ sein. So entscheiden wir uns für die kommenden zwei Wochen ein günstiges Auto zu mieten und zu campen. Nachdem wir seit unserer Ankunft in New York am 02. April nur in Städten unterwegs waren (NYC -Washington D.C. - Philadelphia - Baltimore), wollen wir endlich raus in die Natur. Wir fahren zum nahegelegenen Shenandoah National Park und sehen dort aus dem sicheren Auto heraus unseren ersten Schwarzbären - zu Richards Enttäuschung bleibt es bei dieser einen Begegnung. Im George Washington National Forest campen wir komplett alleine an einem kostenlosen Zeltplatz im Wald. Auch hier gibt es Bären. Nach zwei Nächten Eingewöhnung in das abendliche Geknister im uns umgebenden dunklen Wald, sowie meinem tiefen Vertrauen in Richards Worte "die haben viel zu viel Angst vor Menschen und wenn sie das Feuer riechen, würden die nie in unsere Nähe kommen", habe ich auch kaum noch Bammel vor möglichen Bär-Stipvisiten.

Als nächstes wollen wir an die Küste, also geht es weiter nach Assateague Island. Die vorgelagerte schmale Insel ist ein Naturschutzgebiet und wird von - Vorsicht jetzt wird's kitschig - Wildpferden bevölkert. Fotogelegenheiten mit gallopierenden Schimmeln mit wallenden Mähnen vor Sonnenuntergängen am Strand - Check. Die Pferde sind DIE Attraktion der Insel: Kommt eines in Sicht, wird sofort das Auto gestoppt und der Fotoapparat gezückt. (Nicht dass wir es anders gemacht hätten..) Interessanterweise unterscheiden sich die Pferdchen äußerlich eigentlich gar nicht von den domestizierten Pferden, die man sonst so sieht.

Nach zwei Nächten am "regulären" Campingplatz gehen wir zum sogenannten "Backcountry Camping" über. Dafür müssen wir das Mietauto am Parkplatz abstellen und mitsamt unserer Walmart-Campingausrüstung, Essen und Trinkwasser entlang am Strand zu einem Campingbereich wandern, den man nur zu Fuß oder mit dem Kajak erreicht.

Für unsere Anstrengungen werden wir mehr als belohnt: Anfang Mai sind wir hier noch komplett alleine - es ist traumhaft! Wir zelten in einem lichten Pinienhain - auf der einen Seite umgeben von Marschland, auf der anderen Seite der Strand. Ohne die drei Wochen zusätzliche Verspätung hätten wir diesen wunderschönen Ort wohl nie gesehen. Die Reise beginnt für uns scheinbar mit einem Desaster, rückblickend ist dies jedoch kein schlechter Start, sondern bereits der Anfang unseres Reise-Abenteuers. Quasi ein Abenteuer vor dem Abenteuer, das uns lehrt, was wir schon längst geahnt haben: Dass Abenteuer selten nach Plan verlaufen.


Zurück in die Gegenwart: Das Warten auf den Mitsu hat also ein Ende. Morgen geht's wieder in den Hafen. Und mit unserem Mitsu machen wir uns dann auf den Weg entlang dem Blue Ridge Parkway durch den Great Smoky Mountains Nationalpark. Und dann, mal sehen... das ist fürs erste genug der Planerei.

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